1. Die Rechtsverfolgung in einem Umgangsverfahren ist nicht nur deshalb von vornherein aussichtslos, weil die Antragstellerin ihre gegenwärtige Anschrift nicht mitteilt.
2. Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin ist nicht deshalb mutwillig, weil sie an sich den Wechsel des Kindes in ihren Haushalt erstrebt und daher parallel ein Sorgerechtsverfahren betreibt.
(Tenor von Herrn Rechtsanwalt Shobeiry)
Herr Rechtsanwalt Shobeiry hat in einem Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht Celle unter dem Aktenzeichen 12 WF 74/21 einen Beschluss erstritten, der für viele vergleichbare Fälle maßgebend ist. Der Beschluss lautet wie folgt:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts — Familiengericht — … vom 12.05.2021 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Bearbeitung und Entscheidung an das Amtsgericht — Familiengericht — … zurückverwiesen.
Gründe:
Die Antragstellerin und der Antragsgegner, die beide aus … stammen und zu der dort ansässigen … Minderheit gehören, sind die Eltern des Kindes …. Die Eltern leben getrennt voneinander. Das Kind lebt beim Vater.
Die Antragstellerin hat das vorliegende Verfahren eingeleitet mit den Anträgen,
- ihren Umgang mit dem … Kind dahingehend zu regeln, dass sie jedes zweite Wochenende von Freitag 14.00 Uhr bis Sonntag 17.00 Uhr und jeden Mittwoch 14.00 bis 18.00 Uhr Umgang mit dem Kind hat,
- ihr Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung hat die Antragstellerin wie folgt vorgetragen:
…
Sie habe derzeit keinerlei Kontakt zu der gemeinsamen Tochter. Der Vater verbiete ihr den Kontakt.
Nachdem das Amtsgericht die Antragstellerin darauf hingewiesen hatte, dass zu einem zulässigen Antrag grundsätzlich auch die Angabe der Anschrift des Antragstellers gehöre, hat die Antragstellerin — nur für das Gericht — ihre derzeitige Anschrift mitgeteilt.
Hierauf— mit Beschluss vom 12.05.2021 — hat das Amtsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen und zur Begründung wie folgt ausgeführt:
Der Antrag sei bereits deshalb zurückzuweisen, weil zu einer ordnungsgemäßen Antragstellung grundsätzlich die Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift des antragstellenden Beteiligten gehöre, und zwar nicht nur in einer nur dem Gericht bekannten Mitteilung, sondern als Bestandteil der Verfahrensakte, und damit auch zur Kenntnis der übrigen Verfahrensbeteiligten. Das gelte nach Auffassung des Gerichts — unabhängig von vorgetragenen Geheimhaltungsgründen —jedenfalls in einem Umgangsverfahren, mit welchem der antragstellende Beteiligte einen uneingeschränkten Umgang begehre. Andernfalls müsste der Antragsgegner das Kind bzw. die Kinder zum Umgang an den antragstellenden Beteiligten überlassen, ohne zu wissen, wo sich die Kinder befänden. Das sei nicht zumutbar.
Der Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin sei darüber hinaus mutwillig, da die Antragstellerin nach ihrem Bekunden keine längerfristige Umgangsregelung anstrebe, sondern eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich selbst, und hierfür bereits ein gesondertes Verfahren eingeleitet habe. In beiden Fällen handele es sich um Kindschaftsverfahren mit den gleichen Verfahrensregeln, sodass eine Entscheidung über den Umgangsantrag vor dem Sorgerechtsantrag nicht absehbar sei.
Die Antragstellerin hat gegen den Beschluss vom 12.05.2021 sofortige Beschwerde eingelegt und darauf hingewiesen, dass sie sich in einer Schutzeinrichtung befinde, in der es auch um den Schutz der weiteren Bewohnerinnen der Einrichtung gehe. Zudem gehöre zu der Geschäftsgrundlage des Vertrags zwischen dem Schutzsuchenden und dem Schutzhaus, dass die Anschrift des Schutzsuchenden auf keinen Fall der Person, vor der sich der Schutzsuchende verstecke, bekannt zu geben sei. Das parallele Sorgerechtsverfahren stehe dem Umgangsbegehren nicht entgegen, da nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung im Sorgerechtsverfahren zu rechnen sei (möglicherweise sei ein Sachverständigengutachten einzuholen etc.), und sie ihr Umgangsrecht bis dahin nicht zurückstellen könne.
Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel der Antragstellerin mit Beschluss vom 19.05.2021 nicht abgeholfen und ergänzend ausgeführt, dass das Schutzbedürfnis aller Bewohnerinnen des Frauenhauses nicht übersehen werde, dass es darum aber nicht gehe, sondern um die Frage, ob ein unbegleiteter Umgang begehrt wer- den könne, solange sich die antragstellende Person in einem Frauenhaus befinde und deshalb ihre Anschrift nicht preisgeben könne.
Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Die Sache ist — nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung — zur weiteren Bearbeitung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen worden, weil das Amtsgericht bereits vor Ablauf der dem Antragsgegner gesetzten Stellungnahmefrist zum Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin über diesen entschieden hatte. Vor endgültiger Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin ist dem Antragsgegner daher erneut Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu einzuräumen.
Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin im Umgangsverfahren erscheint — entgegen der Ansicht des Amtsgerichts — nicht deshalb von vornherein aussichtslos, weil die Antragstellerin ihre gegenwärtige Anschrift nicht mitteilt. In Umgangsverfahren ist der Maßstab für die hinreichende Erfolgsaussicht großzügiger als in Streitverfahren, da die Beteiligten nur eingeschränkt dispositionsbefugt sind und das Gericht nach Ermittlungen von Amts wegen (§ 26 FamFG) die dem Kindeswohl am besten entsprechende Entscheidung — unter Berücksichtigung der Interessen der Eltern — zu treffen hat (Zöller/Feskorn, 33. Aufl., § 76 FamFG, Rn 33 i. V. m. Rn 30). Hinreichende Erfolgsaussicht besteht in Umgangsverfahren daher in der Regel bereits dann, wenn das Familiengericht nach entsprechenden Ermittlungen im Kindeswohlinteresse eine Regelung treffen muss, der Antrag auf Regelung des Umgangs also nicht von vornherein aussichtslos ist (Zöller/Feskorn, 33. Aufl., § 76 FamFG, Rn 33). Auf die vollständige Erfolgsaussicht des formulierten Umgangsantrags kommt es nicht an, da es sich um keinen Sachantrag handelt (a. a. O.). Verweigert der andere Teil den Umgang, ist daher in der Regel Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen (a. a. O.).
Darüber hinaus ist die Rechtsverfolgung der Antragstellerin nicht deswegen mutwillig, weil sie an sich den Wechsel des Kindes in ihren Haushalt erstrebt und daher parallel ein Sorgerechtsverfahren betreibt Es ist ihr unbenommen, neben dem Sorgerechtsverfahren ein Umgangsverfahren anzustrengen, mit dem sie eine Regelung bis zur endgültigen Entscheidung im Sorgerechtsverfahren (möglicherweise erst in zweiter Instanz) und auch für den Fall eines ihr ungünstigen Ausgangs des Sorgerechtsverfahrens erstrebt.